Medienkompetenz – Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe?
Die digitale Revolution verändert unsere Lebensverhältnisse so grundlegend wie einst die Erfindung des Buchdruckes oder des Telefons getan hat. Die Digitalisierung als globales Phänomen verändert die Wirtschafts- und Arbeitswelt fundamental. Die Etablierung von neuen Produkten, Dienstleistungen und Wegen hat neue Berufsfelder und Arbeitsformen zur Folge, es entstehen ganz neue Chancen für Beschäftigung und gesamtgesellschaftliche Wertschöpfung. Doch was bedeuten diese neuen Anwendungsmöglichkeiten für die Anwender? Konstant ist offensichtlich nur der Wandel, und man muss sich darauf einstellen, stets neue Prozesse bis hin zu völlig neuen Inhalten zu erlernen. Was passiert wenn man diesem nicht gerecht wird? Wenn Medien so einen wichtigen Stellenwert in unserer Gesellschaft haben, sind wir dann kein wirklicher Teil dieser mehr sobald wir es nicht mehr schaffen mit ihnen richtig umzugehen? Genau mit dieser Frage beschäftigt sich der vorliegende Essay im folgenden.
Wenn wir über Medienkompetenz sprechen ist es jedoch erst einmal wichtig zu verstehen, von welchem Punkt aus wir unsere Analyse starten. Was sind Medien in unserem modernen Verständnis denn eigentlich? Zu diesem Thema haben wir uns im Seminar bereits mit dem Text „Was ist ein Medium?“ von Thomas Mock beschäftigt.
Dieser sieht den Begriff des Mediums selbst als meist nicht eindeutig und klar definierbar. Versucht man jedoch eine Unterscheidung des kommunikations- und medienwissenschaftlichen Grundverständnisses des Mediums zu finden, muss man zuerst auf unseren aktuellen wissenschaftlichen und allgemeinen Sprachgebrauch blicken.
Dabei lassen sich sieben unterschiedliche Bedeutungen von „Medium“ erkennen: Medium als Mitte, Mittel, vermittelndes Element, Kommunikationsmittel, (Versuchs)Person, Stoff und Genus, wobei die Verwendung als Kommunikationsmittel in unserem Alltag am meisten verbreitet ist und auch hier das Hauptaugenmerk sein soll.
Das Medium ist als Mittel der Kommunikation auch in verschiedene Hauptmerkmale zerlegbar, nämlich als
- Medium als Mittel der Wahrnehmung (als Voraussetzung für Kommunikation) : Medien sind die Grundlage jeder Menschlichen Wahrnehmung
- Medium als Mittel der Verständigung : Zeichenübermmittlung zwischen Medien ermöglichen erst menschliche Kommunkiation
- und Medium als Mittel der Verbreitung: Materielle Medien (Technik), welche Kommunikation über räumliche und zeitliche Grenzen hinaus ermöglichen.
Diese drei Mittel im Zusammenspiel ermöglichen erst eine freie und unbegrenzte Kommunikation, und die Fähigkeit zur Kommunikation ist die Basis für erfolgreiches gesellschaftliches Zusammenleben. Übertragen wir diese drei Punkte Thomas Mocks‘ also auf unsere aktuelle digitalisierte Welt: Erstens sind Medien die Grundlage jeder menschlichen Wahrnehmung. Dies umfasst jedoch primär solche Mittel, die als physikalische Medien/Kontaktmaterie einzuorden sind, zum Beispiel elektromagnetische Felder, gasförmige, feste und flüssige Stoffe, vor allem Luft. Da wir uns aber weniger mit Kontaktmaterie sondern eher mit Informationstechnologie beschäftigen wollen, wenden wir uns nun dem zweiten Punkt Mocks‘ zu; das Medium ist als Mittel der Verständigung eine Grundlage für menschliche Kommunikation. Dieses trifft eindeutig zu: Sehen wir uns da beispielsweise, da es unumstritten den Mittelpunkt der technischen und gesellschaftlichen Umwälzungen bildet, das Internet an. Es hat die Fähigkeit multimediale Elemente parallel und interaktiv zu übertragen. Sender und Empfänger können Text, Sprache und bewegte Bilder nicht nur austauschen, sondern auch bearbeiten, und dies alles global. Computer- und Internetnutzung gehören heute wie selbstverständlich zum Alltag der meisten Jugendlichen. Die neuen Medien schaffen neue Kommunikationsmöglichkeiten wie E-Mail und Chat und bieten ein bisher unerreichbares Informationsspektrum. Doch gerade weil die Nutzung solcher Kommunikationsmöglichkeiten heute wie selbstverständlich dazugehört, können gerade Kinder und Jugendliche schnell komplett von sozialen Interaktionen ausgeschlossen werden wenn sie den richtigen Umgang nicht beherrschen, wenn sie nicht Medienkompetent sind. Besonders im Jugendalter müssen Entwicklungsaufgaben wie zum Beispiel die emotionale Loslösung von den Eltern oder die Pubertät bewältigt werden. Die Entwicklung der Medienkompetenz, also die Entwicklung von Fähigkeiten für den Umgang mit Medien, ist eine vergleichbare Entwicklungsaufgabe. Demnach sind junge Menschen den Medien nicht ausgeliefert, sondern eignen sich den Umgang mit ihnen aktiv an. Da Mediennutzung für Jugendliche also diese soziale Funktion hat, verlieren sie einen wichtigen Teil ihrer sozialen Kreise wenn sie nicht medienkompetent sind. Natürlich ist dieses auch auf Erwachsene übertragbar, aber da der Stellenwert von neuen Medien vor allem bei Senioren noch nicht so hoch ist und keine Medienkenntnis nicht automatisch Ausschluß bedeutet, wird diese Gesellschaftsgruppe hier gerade einmal vernachlässigt. Jugendliche nämlich diskutieren und konsumieren das Programmangebot, welches sie durch neue Medien vermittelt bekommen, fast jeden Tag mit ihren Freunden. Unterhält sich eine Gruppe Teenager zum Beispiel über eine neue amerikanische Serie welche sie im Internet entdeckt haben und eine Person kann nicht mit dem Internet umgehen und hat so noch nichts von dieser Serie gehört, kann sie schwer am Gespräch teilnehmen. Wird dieses Gespräch dann vielleicht sogar gar nicht persönlich, sondern per Mail oder in einem Chatroom geführt, besitzt sie keinerlei gesellschafttliche Teilhabe mehr. Dies ist dann auch schon ein Aspekt von Mocks‘ drittem Punkt, das Medium als Mittel der Verbreitung. Materielle Medien (Technik), ermöglichen Kommunikation über räumliche und zeitliche Grenzen hinaus.
Dabei kommen wir auch hier an dem beliebten Stichwort der „Globalisierung“ nicht vorbei. Die Globalisierung wird hierbei als Vorgang der zunehmenden weltweiten Verflechtung in allen Bereichen (Wirtschaft, Politik, Kultur, Umwelt, und eben auch Kommunikation) verstanden. Dabei wird den Medien eine entscheidende Rolle zugeschrieben: als Objekt wie als Moment eines Modernisierungsprozesses, in dem die Grenzen , wie oben bereits kurz angerissen, von Zeit, Raum und „Nation“ für die Ströme von Kapital, Gütern und Kultur mehr und mehr an Bedeutung verlieren. Große Events wie die Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine oder der US-Wahlkampf ziehen die weltweite Aufmerksamkeit auf sich. Dieses Wissen, wer jetzt genau demnächst die USA regieren wird oder in Warschau ein Siegtor errungen hat, wird uns auch nur durch Medien möglich. Diese Informationen werden durch die elektronischen Medien verbreitet, die aufgrund ihrer Übertragungstechnologien von überall und in Echtzeit senden und
empfangen werden können. Informationen und Nachrichten in Echtzeit rücken die Orte des
Geschehens visuell näher aneinander. Nun kommt die Medienkompetenz wieder ins Spiel: Die beschleunigte Kommunikation lässt Ereignisse schnell mehr punktuell denn zusammenhängend erscheinen. Weiß man nicht, wie man mit diesem Fluss von Medien richtig umzugehen hat, kann schnell Überforderung oder Verwirrung entstehen. Auch kann es einem schwer möglich sein, überhaupt noch Grenzen zu erkennen, da Ursprung und Zielort der Informationen überall liegen können . Dies sind also alles Gefahren, welche während der globalen Betrachtung durch fehlende Medienkompetenz eintreffen können. Gesellschaftliche Teilhabe wäre auch hier unmöglich: Wie sollen wir internationale Politik mitbekommen, wenn wir diese nicht durch Medien erfahren? Wie sollen wir wissen, wen wir bei einer Europameisterschaft eigentlich als Sieger feiern sollen, wenn wir die Spiele gar nicht gesehen haben? Wir können es nicht wissen. Und doch müssen wir solche Dinge wissen, um gesellschaftlich anerkannt zu werden.
Dies hängt dann wiederum mit unserer Sozialisation zusammen. Dazu haben wir uns im Seminar mit dem Text „Mediensozialisation“ von Stefan Aufenanger beschäftigt, welcher diese sehr gut thematisiert. Er stellt fest, dass die These das Medien zu unserer Sozialisation beitragen können, weit bis zu Aristoteles und Platon zurückgeht. In den letzten Jahrzenten haben aber beispielsweise Geulen und Hurrelmann „vorfindbare Paradigmenwechsel“ (Früher: Anpassung an die Gesellschaft. Heute: Die gesellschaftliche Wirklichkeit wird selbst konstruiert) entdeckt. Die Mediensozialisation ist also deutlich komplexer geworden. Spricht man dabei von einer medienzentrierten Perspektive, fragt man sich: „was machen die Medien mit den Menschen?‘“, wogegen man sich bei der rezipientenzentrierten Perspektive fragt: „was machen die Menschen eigentlich mit den Medien?“.
Diese beiden Perspektiven können auch uns abschließend noch helfen, den Zusammenhang von Medienkompetenz und gesellschaftlicher Teilhabe zu verstehen.
Geht man von der medienzentrierten Perspektive aus, hieße das, dass wir alles was wir zum Beispiel im Fernsehen verfolgen oder in der Zeitung lesen, sofort aufnehmen und umsetzen. Medien und Sozialisation hingen dann unmittelbar und untrennbar zusammen. So einfach ist die Verbindung „Einfluss der Medien-Persönlichkeitsentwicklung“ aber einfach nicht zu sehen. Denn wenn dies so wäre, müssten ja alle Rezipienten, welche dieselbe Zeitung lesen und dasselbe Fernsehprogramm gesehen haben, den gleichen Sozialisationsgrad besitzen. Dies ist aber eindeutig nicht so. Jeder Mensch selektiert anders und nimmt unterschiedlich viel von den Medien auf.
Weiter verbreitet und sinniger ist da die rezipientenzentrierte Perspektive. Diese beinhaltet, dass der Rezipient entscheidet, welches Medienangebot für welche Art von Bedürfnisbefriedigung besonders geeignet ist. Das man selbst selektiert bedeutet also, dass auch andere Quellen der Bedürfnisbefriedigung außerhalb der Medien, zum Beispiel innergesellschaftlich, in Frage kommen. Wenn dieses also die aktuelle Sicht der Forschung auf die Mediensozialisation ist, ist ein gewisser Grad von Handlungsbewusstsein (Filterung, Selektion..) im Bezug auf Medien, ein gewisser Grad an Medienkompetenz, also nötig, um in unserer Gesellschaft sozialisiert zu sein, an ihr teilzunehmen..
Auch meine Beobachtungen in den obrigen Abschnitten meines Essays deuten auf diese Beantwortung meiner Anfangs gestellten Frage hin:
Für alle neuen Technologien lässt sich sagen, dass allein ihre Existenz noch lange nicht ihren Nutzen begründet. Erst durch eine ausgeprägte Kompetenz der Nutzer in der Anwendung
dieser Medien wird ein erfolgreicher Einsatz möglich. Hierzu gehört die Fähigkeit, Informationen zu strukturieren und zu bewerten aber auch die Fertigkeit, mit den verfügbaren Werkzeugen umzugehen und die Regeln der Kommunikation zu beherrschen. Medienkompetenz erfordert jedoch nicht nur den erfolgreichen Umgang mit neuen Medien, auch das Erkennen möglicher Gefahren gehört dazu. So sind in den neuen Medien – insbesondere im Internet – Verzerrungen von
Informationen möglich und Distanzen und Grenzen werden schnell unklar. Aber aus dem wichtigen Stellenwert des Mediums in unserer Gesellschaft heraus erwachsen ganz eigene Gefahren, gerade für Jugendliche: Wer dies alles nicht beherrscht, gehört nicht dazu. Ob dies moralisch so richtig ist ist eine andere Frage, aber so einfach kann es in unserer globalisierten, vernetzten und digitalisierten Welt gehen, ob man möchte oder nicht.
Quellen:
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Mock, T. (2006). Was ist ein Medium? Eine Unterscheidung kommunikations- und medienwissenschaftlicher Grundverständnisse eines zentralen Begriffs. Publizistik, 51(2), 183-200
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Aufenanger, S. (2008). Mediensozialisation. In: Sander, U., Gross, von F., & Hugger, K. – U. Handbuch Medienpädagogik.Verlag für Sozialwissenschaften, Stuttgart S. 87-92.